Wie der Landrat das Problem mit dem Haushalt 2011 der Stadt Dorsten löst – eine Satire

Schreiben des Landrats vom 20. Dez. 2011, Seite 1

21. Jan. 2012. Von Helmut Frenzel

Pünktlich zu Weihnachten bekommt Dorstens Bürgermeister Post. Vom Landrat. Dem ist am 20. Dezember, gewissermaßen unter dem Weihnachtsbaum, eingefallen, dass er noch einen Brief beantworten muss, den ihm die Stadt Dorsten im Juni 2011 geschrieben hat. Eine unangenehme Sache. Aber jetzt, kurz vor Ende des Jahres, ist es höchste Zeit – die Sache muss vom Tisch.

Es geht um den Haushalt der Stadt Dorsten für 2011. Der hatte sich schon für Stadtverwaltung und Rat zur Zangengeburt entwickelt. Während der ersten Monate des Haushaltsjahres hatten die Ratsmitglieder mit sich selbst gerungen, wie in Dreigottesnamen sie dem Bürger und Wähler die Zustimmung des Rates zu diesem absolut katastrophalen Haushalt schmackhaft machen könnten. Ein Haushaltsloch von 32 Millionen Euro, eine Zunahme der kurzfristigen Schulden auf bis zu 200 Millionen Euro – das  war eine schwere Aufgabe und beanspruchte Zeit.

Aber dann, am 18. Mai 2011, nachdem fast fünf Monate des Haushaltsjahres schon verstrichen sind, ist eine Lösung gefunden. Der Rat stimmt dem Haushalt mit überwältigender Mehrheit zu: aus Verantwortung. Gegenüber der Stadt! Ob damit die Verantwortung gegenüber dem Bürger oder sonst jemandem gemeint ist, bleibt offen. Man will ja nicht gleich die Frage provozieren, was denn verantwortlich daran ist, wenn dem Bürger noch einmal 20 Millionen Schulden aufgebürdet werden, Steuern und Abgaben steigen und gleichzeitig die Leistungen zurückgefahren werden. Aber nun, mit der Berufung auf die Verantwortung gegenüber der Stadt, ist diese Herausforderung gemeistert.

Der heroische Ratsbeschluss wird der Kommunalaufsicht am 3. Juni 2011 angezeigt. Auf einen Antrag auf Genehmigung des Haushalts durch die Kommunalaufsicht  hat Dorsten verzichtet, „ […] da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen“. Vom Drang nach Wahrheit überwältigt, gesteht die Stadtspitze ein, dass sie sich nicht in der Lage sieht, das gewaltige Haushaltsdefizit innerhalb der nächsten zehn Jahre auf Null zu bringen.

Dem Landrat fährt der Schreck in die Glieder. Der Dorstener Haushalt ist in keiner Weise genehmigungsfähig. Schlimmer noch: die Dorstener haben, die Aussichtslosigkeit der Sache fest vor Augen, eine Genehmigung nicht einmal beantragt. Man muss nachdenken. Soll er jetzt, mitten im Haushaltsjahr, die Rechtsunwirksamkeit des Dorstener Ratsbeschlusses feststellen? Die Folgen könnten weit reichend sein.

Zusammen mit dem Haushalt ist ja auch die Aufstockung des Überziehungskredits und damit die Erhöhung der Verschuldung vom Rat freigegeben worden. Diese wäre dann ja auch rechtsunwirksam. Er müsste unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um die Inanspruchnahme höherer Überziehungskredite zu verhindern. Damit stellte sich natürlich sofort die Frage nach der Zahlungsfähigkeit der Stadt. Wohin würde das alles führen?  Würde das Land einspringen? Kaum anzunehmen, nachdem dieses sich seit Jahren erfolgreich daran beteiligt hat, die Kostenfolgen eigener politischer Entscheidungen und solcher des Bundes auf die Gemeinden abzuwälzen. Und wie stünde er, der Landrat, selbst da, wenn er einen solchen Eklat herbeiführte?

Man muss Zeit gewinnen, das ist es. Aber wie? Eine aufwändige Prüfung des Haushalts über ein paar Monate kommt nicht in Frage, da die fehlende Genehmigungsfähigkeit ja von vornherein feststeht. Wirklich eine undankbare Sache. Unterdessen ist man im Juli angekommen und die großen Ferien stehen bevor. Außerdem haben sich auf dem Schreibtisch des Landrats die Haushalte der anderen hoch verschuldeten Städte des Kreises mit ähnlich schlechten Zahlen angehäuft. Er legt das Dorstener Schreiben ganz unten in den Stapel und geht erst einmal in Urlaub.

Während der Ferienzeit ist an Entscheidungen von Tragweite überhaupt nicht zu denken. Immer ist ein wichtiger Mitarbeiter, den man unbedingt zur Entscheidung braucht, gerade in Urlaub. Also bis September abwarten, bis sich der Ferien-Hype beruhigt. Endlich kann man wieder mit seriöser Arbeit beginnen. Der Stapel mit den Haushalten der hoch verschuldeten Gemeinden wird in Angriff genommen. Da müssen viele Fragen geklärt werden, die hohen Arbeitseinsatz erfordern. Nur beim Dorstener Haushalt ist ja alles klar, der kann noch warten.

Die Zeit läuft, schon naht das Jahresende. Der Landrat war fleißig, tatsächlich ist der Stapel mit den unsäglichen Haushaltssicherungskonzepten der dem Kreis zugehörigen Gemeinden abgearbeitet. Nur das Dorstener Schreiben  von Juni liegt noch auf dem Schreibtisch. Das wird er jetzt auch beantworten. Ordnung muss sein. Der Brief an den Bürgermeister von Dorsten ist rasch geschrieben, viel zu überlegen gibt es nicht. Auch der Zeitpunkt ist günstig, ganz zufällig.  Die Post wird die Dorstener Stadtspitze noch eben vor Weihnachten erreichen. Bis nach dem Jahreswechsel herrscht in den Verwaltungen Feiertagsruhe. Wenn er, der Landrat, jetzt, Ende Dezember,  den Haushalt 2011 für rechtsunwirksam erklärt, kann doch gar nichts mehr passieren. Irgendwie hat sich das Problem von alleine erledigt. Der rechtsunwirksame Haushalt ist längst umgesetzt und der zusätzliche Überziehungskredit, der niemals hätte in Anspruch genommen werden dürfen, ausgeschöpft. Da kann man eben nichts machen. Wussten doch alle, dass der Haushalt rechtsunwirksam ist. Wo ist das Problem? So genau betet kein Pfarrer.  Der Bürger, der die Zeche zahlt, wird so schnell schon nichts merken.

Erleichterung überkommt den Landrat. In wenigen Tagen beginnt das neue Jahr. Alles wird gut.

Auszüge aus dem Schreiben des Landrats  vom 20. Dezember 2011, eingegangen bei der Stadt Dorsten am 23. Dezember 2011, veröffentlicht auf der Homepage der Stadt Dorsten unter Vorlagen 5. Jan. 2012/Anlage:

„Die angezeigte Haushaltssatzung 2011 mit einem ausgewiesenen Fehlbedarf in Höhe von 32.307.522,00 € […] nehme ich zur Kenntnis.“

„Die Haushaltssatzung wird […] nicht rechtswirksam, die öffentliche Bekanntmachung kommt nicht in Betracht.“

(Das vollständige Schreiben kann aufgerufen werden unter  https://dorsten.more-rubin1.de)                                                                                       

 

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