21. Feb. 2012. Von Helmut Frenzel
Das Stärkungspakt-Gesetz der Landesegierung, das die Kommunen zum Haushaltsausgleich bis 2016 zwingt, bringt die Kommunalpolitik allmählich auf Trab, wenn auch reichlich spät. „Was muss ich noch tun, damit die Leute endlich merken, dass uns das Wasser bis zum Hals steht?“, wird der Bürgermeister in der „Dorstener Zeitung“ vom 17. Februar zitiert. Er verzweifle fast an dem vergeblichen Versuch, Bürgern, Politikern und Geschäftsleuten den Ernst der finanziellen Lage klarzumachen.
Die genannten Personengruppen verstehen nicht oder wollen nicht verstehen? Wenn es denn tatsächlich so gesagt worden sein sollte, ist das eine unzulässige Verallgemeinerung, jedenfalls soweit es „die Leute“ betrifft. Für wie beschränkt hält der erste Bürger der Stadt seine Mitbürger? Vielen ist schon lange klar, in welcher desolaten Finanzlage sich die Stadt befindet, und sie wundern sich darüber, wie die Stadt ungebremst Überziehungskredite von bald 200 Millionen Euro anhäufen konnte.
Süße Droge der Verschuldung
Es ist wohl eher anders herum. Die politische Führung der Stadt hat viel zu spät erkannt, dass der Weg in die Verschuldung nicht länger verantwortbar war. Dafür gibt es einen Grund, den der Bürgermeister klar beim Namen nannte. „ […] mit Schulden hat noch niemand eine Wahl verloren“, sagte er bei der Einbringung des Haushalts 2012 im Stadtrat. Das war zwei Jahrzehnte lang das Credo der Politiker, auch in Dorsten. Und es funktionierte ganz gut, man brauchte den Bürger nicht mit der unbequemen Frage nach der Finanzierung der Ausgaben zu behelligen, wenn die Politik sich ihre eigenen Wünsche oder die vermeintlichen Wünsche der Bürger erfüllte. Hier half die süße Droge der Verschuldung, von der keine Partei mehr lassen wollte. So konnte sich eine Schuldenmentalität breit machen, die ausgabenträchtige Entscheidungen auch dann noch als verantwortungsvolles Handeln feierte, wenn sie auf Pump und damit auf Kosten künftiger Generationen getroffen wurden.
Die Bürger wurden unterdessen mit dem ständigen Hinweis besänftigt, dass die immer größer werdenden Haushaltslöcher von anderen politischen Ebenen, gemeint sind Bund und Land, verursacht und diese dann auch in der Pflicht seien, das Finanzproblem zu lösen. Dafür ist die Rede des Bürgermeisters zur Einbringung des Haushalts im vergangenen Jahr ein beredtes Beispiel: Kein Wort darüber, welchen Anteil an der Finanzmisere die Dorstener Kommunalpolitik mit ihren eigenen Ausgabenentscheidungen hat.
Lernen, ohne neue Schulden auszukommen
Damit ist nun Schluss. Dorsten im Drogenentzug. Das Stärkungspakt-Gesetz bewirkt, dass die Stadt neunzig Prozent der Lasten zur Erreichung eines ausgeglichenen Haushalts tragen muss, entweder durch Ausgabenkürzungen oder durch Einnahmenerhöhungen. Das Loch, das Dorsten durch eigene Anstrengungen binnen fünf Jahren schließen muss, beträgt 25 Millionen Euro, so hat es der Stadtkämmerer vorgerechnet. Ob es dann am Ende ein paar Millionen mehr oder weniger sein werden, spielt für das, was jetzt kommen muss, kaum eine Rolle. An der grundsätzlichen Aufgabenstellung ändert es nichts, nur am geforderten Ergebnis. Dorsten muss sich einer Entziehungskur stellen, es muss lernen, ohne die Droge Verschuldung auszukommen – mit all den üblichen schmerzhaften Begleitumständen.
Wie geht die politische Führung mit der Herausforderung um? Sie lässt sich sehr viel Zeit! Spätestens seit September vergangenen Jahres, als das Gesetz im Landtag eingebracht wurde, war bekannt, was auf die von Überschuldung bedrohten Gemeinden zukommt. Die Monate seither hat der Bürgermeister tatenlos verstreichen lassen. Im Januar legte der Stadtkämmerer einen Haushaltsentwurf für 2012 vor, der sich nahtlos in die Verschuldungsorgie der Vorjahre einreihte – mit einem Fehlbetrag von 33 Millionen Euro. So als wenn es den Stärkungspakt mit seinen imperativen Sanierungsauflagen nicht gäbe.
Politische Führung gefragt
Jetzt zieht der Bürgermeister offenbar durch die Gemeinde und versucht, „den Leuten“ den Ernst der Lage nahe zu bringen. Dass die nicht mit freudiger Zustimmung reagieren, wenn ihnen Einsparungen oder Abgabenerhöhungen drohen, war zu erwarten und wird so bleiben. Das ändert nichts an der Aufgabe. Jetzt ist politische Führung gefragt. Aber damit sieht es trotz des Zeitdrucks noch immer mager aus. Wo ist der Masterplan des Bürgermeisters bezüglich der Aufstellung des Haushaltskonsolidierungsplans? Sind Grundlagen erarbeitet worden für die bevorstehenden schwierigen Entscheidungen? Von all dem hat man nichts gehört. Bis heute ist nicht ansatzweise ein Konzept präsentiert worden, wie der Prozess, an dessen Ende der Haushaltskonsolidierungsplan bis 2016 stehen muss, effizient ablaufen soll.
Stattdessen sind allerlei Veranstaltungen der CDU geplant, die lediglich darauf abzielen, den Bürger bei Laune zu halten. Man wolle die Bürgerschaft in die von Einsparmaßnahmen betroffenen Einrichtungen einbinden, heißt es. Das stellt man sich so vor: die für den Sport zuständigen Ratsmitglieder treffen sich mit Vereinen und Stadtsportverband, die für Kultur zuständigen Ratsmitglieder mit Musikschule, Volkshochschule und Stadtbücherei und so weiter. Ziel ist, „gemeinsam Ideen zu entwickeln“. Zu erwarten, dass dabei
Aktionismus bringt überhaupt nichts
irgendetwas herauskommt, was zur Lösung des Haushaltsproblems beiträgt, ist naiv. Hier treffen Ratsmitglieder, die bestenfalls mit einem Halbwissen über den städtischen Haushalt ausgestattet sind, mit Vertretern von Interessengruppen (!) zusammen, die überwiegend den städtischen Haushalt noch nie gesehen haben, die die inneren Zusammenhänge und Zwänge nicht kennen, pflichtige von freiwilligen Aufgaben nicht unterscheiden können.
Was soll das bringen? Es ist wie wenn ein Kapitän, dessen Schiff bei schwerem Wetter in Seenot geraten ist, seine Crew ausschwärmen lässt, um bei den Passagieren Vorschläge einzuholen, wie man das Schiff retten könnte. Es ist ein Akt der Ratlosigkeit. Es wird absehbar dies herauskommen: die Interessenvertreter werden ihre Besitzstände verteidigen, denn für etwas anderes werden sie kein Mandat mitbringen. Hinter all diesen Aktionen steht eine sträfliche Geringschätzung der zu lösenden Aufgabe.
Sanierungsaufgabe ist nichts für Dilettanten
Sanierung ist eine Sache für Profis. Wer sachgerecht vorgehen will, muss eine Gesamtschau aller Aufgaben und Verpflichtungen haben, Einsparpotentiale einschätzen können, einen Überblick über die Kündbarkeit von Verträgen haben, er muss die ungeschönten Zuschussbedarfe für die einzelnen Tätigkeitsfelder kennen, er muss etwas über die so genannten remanenten Kosten wissen, die zurückbleiben, auch wenn ein Bereich geschlossen wird, und vieles andere mehr. Das können nur Insider leisten. Nur aus der Gesamtschau heraus kann eine geordnete Sanierungsstrategie entwickelt werden. Und dann muss jemand da sein, der das Rückgrat hat, die notwendigen schmerzhaften Maßnahmen durch die Gremien boxen. Das ist nichts für Dilettanten.
Die derzeit agierenden Personen, die wie der Bürgermeister, aber auch führende Mitglieder der Ratsfraktionen, Dorsten an den Rand der Überschuldung geführt haben, können mit einem Vorschuss an Vertrauen seitens der Bürger nicht rechnen. Das Vertrauen müssen sie sich durch Taten erst noch verdienen.
Dorsten transparent scheint auch die Dorstener Tageszeitungen zu beflügeln. Erstmals seit langer Zeit lese ich heute morgen einen kritischen sehr gut geschriebenen Artikel des Redakteurs K. D. Krause in der Dorstener Zeitung, der all die Grausamkeiten, die die Dorstener und Zwangsdorstener noch zu erwarten haben, aufführt. Das wurde auch mal Zeit, dass eine Lokalzeitung sich den Problemen stellt und nicht nur beschönigt oder totschweigt.