30. Jan. 2012. Von Helmut Frenzel
Es ist ein Datum, an das man sich erinnern wird: der 25. Januar 2012. An diesem Tag hat der Kämmerer seinen Entwurf für den städtischen Haushalt 2012 in den Rat der Stadt Dorsten eingebracht. Dieser ist, abgesehen von einigen nicht allzu bedeutenden Abweichungen, mehr oder weniger eine Kopie des Haushalts 2011. Strukturell und inhaltlich sind kaum Änderungen eingetreten und so verwundert es nicht, dass nach einem Haushaltsdefizit in 2011 von 32 Millionen Euro für das Haushaltsjahr 2012 ein Defizit von knapp 33 Millionen Euro unter dem Strich steht. Das sieht nach einem Weiterwursteln aus, aber dazu wird es nicht mehr kommen.
Alles wird sich ändern. Während der katastrophale Haushalt 2011 vom Rat der Stadt Dorsten noch mit überwältigender Mehrheit seiner Mitglieder verabschiedet wurde, – dies unter Berufung auf ihre Verantwortung gegenüber der Stadt – , bahnt sich für 2012 eine Kehrtwende an, die man nur dramatisch nennen kann. Der Grund: die Landesregierung fällt den Räten der hoch verschuldeten Gemeinden in den Arm und verlangt den Haushaltsausgleich binnen fünf Jahren beginnend mit 2012. Dazu hat der Landtag noch im Dezember 2011 das Stärkungspakt-Gesetz verabschiedet, das die Gemeinden zwingt, ihr Haushaltsdefizit in gleichmäßigen Konsolidierungsschritten auf Null zu bringen, während das Land diesen Prozess mit einem konstanten jährlichen Konsolidierungsbeitrag unterstützt.
Stärkungspakt setzt Kommunalpolitiker unter Handlungsdruck
Was heißt das für Dorsten? Nach der Mittelfristplanung des Kämmerers beträgt das strukturelle jährliche Haushaltsdefizit Dorstens im letzten der fünf Jahre 28 Millionen Euro. Rechnet man den Konsolidierungsbeitrag des Landes ab, der nach aktuellem Stand etwas über 3 Millionen jährlich beträgt, bleibt eine Lücke von 25 Millionen Euro, die Dorsten in eigener Verantwortung ausgleichen muss. Das sind etwa 12 % des Haushaltsvolumens.
Diese Lücke muss bis Ende 2016 vollständig geschlossen werden, entweder durch Abbau von Ausgaben oder durch Erhöhung der Einnahmen, also von Steuern und Abgaben. Da der Ablauf in gleichmäßigen Schritten erfolgen soll, bedeutet das einen Konsolidierungsbedarf in 2012 von 5 Millionen Euro, der sich in den Folgejahren um jährlich jeweils weitere fünf Millionen erhöht, bis in 2016 der Betrag von 25 Millionen Euro erreicht und die Haushaltslücke geschlossen ist. Wahrhaftig kein leichter Weg!
Was sagt der Kämmerer dazu? In seiner Haushaltsrede ließ er keinen Zweifel daran, dass der vorgelegte Haushalt nicht beschlussfähig ist. „Betrachten Sie deshalb das Werk als Ausgangsbasis dafür, was nun kommt. […] Bis 27. Juni 2011 muss der Rat einen Haushaltssanierungsplan beschließen. […] Alles das, was wir auf der Ausgabenseite nicht einsparen wollen oder können, muss über die Erhöhung der Einnahmen finanziert wer den.“
Der Bürgermeister und die Wahrheit
Auch der Bürgermeister hielt eine Rede. Er versuchte sich als „brutalst-möglicher“ Aufklärer. Das Wort Wahrheit kommt unzählige Male vor. Etwa so: wir müssen den Menschen die Wahrheit sagen; das ist eine Wahrheit, die so gesagt und von uns so akzeptiert werden muss; wir dürfen die Wahrheit nicht länger aus parteitaktischen Gründen oder aus Angst vor dem Liebesentzug der Wähler unterdrücken; als politisch Verantwortliche dürfen wir nicht länger der Schleier sein, der alles verdeckt; wir müssen sagen, was unser politisches Handeln und das Wunschdenken der Bürger bewirkt hat; wir müssen die brutalen Realitäten widerspiegeln; wir sind Teil einer Glaubwürdigkeitskrise; wir müssen uns den Realitäten stellen; ich möchte die Ratsmitglieder bitten, den Menschen in den nächsten Wochen die Wahrheit zu sagen; usw. Dass der Bürgermeister die Wahrheit so sehr bemüht, macht stutzig. Um welche Wahrheit geht es? Zwischen den Zeilen schimmert die Sorge durch, dass noch Wahrheiten zutage kommen werden, bei denen es auch um Schuldzuweisungen gehen könnte.
Bezeichnenderweise unterließ der Bürgermeister es, diese Wahrheit auszusprechen: der bei weitem größte Teil der Belastungen zur Konsolidierung des Haushalts wird der Stadt aufgebürdet. Der Konsolidierungsbeitrag des Landes ist da nur ein Trostpflaster. Das steht in krassem Widerspruch zu der gebetsmühlenartig vorgetragenen Klage der Kommunalpolitiker, an der Haushaltsmisere seien Bund und Land schuld, weil sie den Gemeinden immer mehr Aufgaben übertragen, ohne ihnen die dafür nötigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Es hat immer schon Zweifler gegeben, die diese Begründung als nicht ausreichend angesehen haben. War es nur eine Ausrede, die vom Mitverschulden der Kommunalpolitiker ablenken sollte? Welchen Anteil an der Haushaltslücke haben die Kommunalpolitiker zu verantworten mit ihren Entscheidungen im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung, für die keine Mittel vorhanden waren und die also auf Pump finanziert wurden?
Welchen Anteil an der Haushaltsmisere hat die Dorstener Politik zu verantworten?
Als ein Beispiel für Aktionen dieser Art kann das Hallenbad „Atlantis“ herhalten. Nachdem die Stadt Dorsten 2004 Insolvenzantrag gegen den damaligen Eigentümer und Betreiber gestellt hatte, fiel das „Atlantis“ an die Stadt „heim“. Die Stadt verpachtete die Immobilie an die Bädergesellschaft gegen eine jährliche Pacht von zweihunderttausend Euro und übertrug ihr den Betrieb des Bades, der durchweg defizitär ist. Seither leistet die Stadt einen jährlichen Verlustausgleich in der Größenordnung von gut 1 Million Euro. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Der „Heimfall“ war kein Geschenk an die Stadt. Er umfasste neben der Immobilie auch die darauf lastenden Schulden in Höhe von etwa 15 Millionen Euro und einen daraus resultierenden Kapitaldienst von jährlich 1 Million Euro. Unter Berücksichtigung der Pacht liegt die Belastung für den städtischen Haushalt bei jährlich etwa 2 Millionen Euro.
Der Stadtkämmerer hat in seiner Haushaltsrede vorgerechnet, dass ein Punkt Grundsteuererhöhung 22.000 Euro Mehreinnahmen bringt. Um die tatsächliche Belastung durch “Atlantis” ausgleichen zu können, hätte die Stadt den Hebesatz für die Grundsteuer um wenigstens 90 Punkte anheben müssen, am Beispiel des für 2012 gültigen Satzes hätte das eine Erhöhung des Hebesatzes von 500 auf 590 bedeutet. Dass dieses oder etwas Vergleichbares geschehen wäre, davon ist indes nichts bekannt. Man wird also annehmen dürfen, dass die Verluste seither durch Schulden finanziert werden. So dürfte sich seit 2005 ein Minus von etwa 14 Millionen Euro angesammelt haben. Bezieht man die Kosten für die Beseitigung der Baumängel und spätere Instandhaltungsmaßnahmen ein, dann dürfte der Gesamtverlust sich eher in der Nähe der 20 Millionen Euro bewegen. Sie finden sich am Jahresende 2011 als Teil der 190 Millionen wieder, die die Stadt an Kassenkrediten aufgetürmt hat.
Glaubwürdigkeit setzt Transparenz voraus
Dies ist nur ein Beispiel. Es wird weitere geben. Deswegen muss die Wahrheit darüber auf den Tisch, welchen Anteil an der Haushaltsmisere und an den entstandenen Schulden die Kommunalpolitiker zu verantworten haben. Man muss befürchten, dass dies der größte Teil ist, denn wenn es anders sein sollte, dann wird die Landesregierung das rabiate Spardiktat, das sie den Gemeinden auferlegt, nicht durchhalten können.
Wenn die Politik Glaubwürdigkeit zurückgewinnen will, auch davon spricht der Bürger- meister, muss auch die Wahrheit zu einem anderen Thema ausgesprochen werden. In ihren Budgetierungsgrundsätzen, die Bestandteil des städtischen Haushalts sind, erklärt die Stadt jedes Jahr aufs Neue, dass Gebühreneinnahmen ausschließlich für den jeweiligen Zweck verwendet werden. Gegen dieses Gebot verstößt die Stadt im Falle der Abwassergebühren massiv. Wenigstens die Hälfte der Abwassergebühren wird in den städtischen Haushalt abgezweigt. Dabei geht es nicht um Kleingeld sondern um Beträge zwischen 7 und 8 Millionen Euro jährlich.
Kritiker der hohen Abwassergebühren werden regelmäßig mit dem Hinweis abgebügelt, dass die Gebühren nur kostendeckend seien. Die Buchungstricks, mit denen das hingezimmert wird, verdienen nur das eine Urteil: Verschleierungstaktik. Ohne diesen erzwungenen „Bürgerbeitrag“ läge das Haushaltsdefizit 2012 bei 40 Millionen Euro, das ist auch eine Wahrheit. Unter diesen Umständen kann man der Meinung sein, dass ein solcher „Bürgerbeitrag“ zum städtischen Haushalt akzeptabel ist. Aber dann soll man den entsprechenden Budgetierungsgrundsatz aus dem Haushalt streichen und es sollen die Kommunalpolitiker den Mut aufbringen, dem Bürger zu sagen, dass er mit einem Teil der Abwassergebühren eine kommunale Sondersteuer zahlt.
Angst vor der Abstrafung durch die Wähler
All dies und anderes mehr wird im Zuge des bevorstehenden Konsolidierungsprozesses ans Tageslicht kommen. Dabei wird es dann auch darum gehen, wer für die katastrophale Entwicklung der Stadtfinanzen politisch zur Verantwortung gezogen werden muss. Im Rathaus geht offenbar schon die Angst um. Dazu noch einmal der Bürgermeister in seiner Haushaltsrede:
„Wir haben versäumt, den Menschen zu sagen, dass es so nicht weitergeht. […] Wahrheit heißt, dass es keine Tabus geben kann. […] Wir werden Empörung ernten. […] Wer re- giert verliert. Ich hoffe sehr, dass wir, die wir in unserer Stadt Verantwortung über- nommen haben, dass wir, die wir gemeinsam in den letzten Jahren viel Verantwortung getragen haben im Sinne einer guten Entwicklung unserer Stadt, nicht die Verlierer sein werden […].“
Muss man sich Sorgen machen, wenn dieselben Personen, die den Karren in den Dreck gefahren oder dabei zugesehen haben, den Karren nun aus dem Dreck ziehen sollen?
Dorsten geht aufregenden Zeiten entgegen.
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Kommentar zum Beitrag: “Welchen Anteil an der Haushaltsmisere hat die Dorstener Politik zu verantworten?”
Ich teile die Auffassungen des Autors. Zu Atlantis ist anzumerken, dass leider alles viel schlimmer ist. Der Schuldendienst, einschließlich Zins und Tilgung für nachträgliche Herstellungskosten, beträgt 1,5 Millionen Euro. Diese Kosten muss die Stadt bis zum Jahre 2031 zahlen, auch wenn sie Atlantis morgen schließen würde.
Hinzukommt der Jahresverlust von Atlantis. Dieser beläuft sich inzwischen auf 1,4 Millionen Euro (die Kosten des Hallenbads in Wulfen nicht mitgerechnet). In dieser Summe sind nicht enthalten die Instandsetzungskosten, die beim Zentralen Gebäudemangement anfallen und im Schnitt der letzten Jahre bei 400.000 Euro lagen.