Das dicke Ende bei der Sanierung der städtischen Finanzen kommt erst noch. Wenn der Haushaltsausgleich geschafft ist, steht die Rückzahlung der Kassenkredite an. Viele Bürger werden dann für Schulden bezahlen, ohne je in den Genuss der Leistungen zu kommen, für die die Schulden einmal gemacht wurden.
8. März 2012. drf – Derzeit konzentriert sich alle Aufmerksamkeit auf mögliche Einsparungen und Einnahmeverbesserungen, mit denen das Ziel des Haushaltsausgleichs bis 2016 erreicht werden kann. Wenn es Dorsten schaffen sollte, ein tragfähiges Haushaltssanierungskonzept vorzulegen, bedeutet das aber keineswegs, dass sich damit auch das Problem der Verschuldung erledigt hat. Rechnet man die vom Stadtkämmerer präsentierten Zahlen unter Berücksichtigung der jährlichen Konsolidierungsschritte hoch, dann steigen zur Finanzierung der Haushaltsdefizite bis Ende 2015 die Kassenkredite noch einmal um schätzungsweise 50 Millionen Euro. Die jährlichen Anstiege verlangsamen sich allerdings. 2016 könnte das erste Jahr sein, in dem keine Zunahme der Kassenkredite mehr erforderlich ist. Dann können auch der Finanzbedarf für die Investitionen und die Tilgungen für die langfristigen Kredite aus den laufenden Einnahmen bezahlt werden. Das setzt allerdings voraus, dass die Haushaltssanierung bis 2016 tatsächlich gelingt.
Höchststand der Kassenkredite erst in 2016 erreicht
Die Kassenkredite betrugen Ende 2011 nach Angaben des Stadtkämmerers 183 Millionen Euro. Wenn die zuvor angestellte Schätzung zutrifft, wird Dorsten 2016, am Ende des vom Stärkungspakt-Gesetz vorgegebenen Konsolidierungszeitraums, Kassenkredite von etwa 230 Millionen Euro in den Büchern haben. Das wird dann der Höchststand sein. Danach wird es keine weitere Zunahme mehr geben unter der Voraussetzung, dass die Landesregierung an ihrer Forderung nach einem ausgeglichenen Haushalt strikt festhält. Jede Verzögerung der Haushaltssanierung führt unweigerlich zu höheren Kassenkrediten
Damit ist der Leidensweg Dorstens aber keineswegs beendet. Dorsten erhält bis 2016 eine Konsolidierungshilfe des Landes von jährlich 3 Millionen Euro. Diese muss in den Jahren 2017 bis 2021 auf Null zurückgeführt werden. Das scheint zwar moderat im Hinblick auf die Konsolidierungsschritte von jährlich 5 Millionen Euro in den kommenden Jahren, wird aber ohne Zweifel dazu führen, dass der Druck in Richtung strenge Ausgabendisziplin auch nach 2016 erhalten bleibt.
Man mag das Zahlenspiel unvollständig und spekulativ nennen. Aber es kommt nicht darauf an, ob die genannten Beträge um ein paar Millionen höher oder niedriger anzusetzen sind. Es geht um die Schlussfolgerungen.
„Mit Schulden hat noch niemand eine Wahl verloren“
Eine erste Schlussfolgerung ist, dass die ständig zunehmende Verschuldung offenbar nicht schnell gestoppt werden kann. Das Rad, das über viele Jahre auf Touren gebracht wurde, lässt sich auch durch eine Notbremsung nicht sofort anhalten. Das ist keine Überraschung, denn die Schuldenwirtschaft hat eine lange Vergangenheit. Das letzte Jahr, in dem der städtische Haushalt ohne Kassenkredite auskam, war 1993. Danach begann die Ära der Verschuldung. 1999 betrugen die Kassenkredite 19 Millionen Euro und ab dann setzte eine Zunahme in geradezu atemberaubendem Tempo ein. 2005 betrugen die Kassenkredite 116 Millionen Euro, 2011 schließlich 183 Millionen Euro. Man mag es Zufall nennen, dass der rasante Anstieg der Verschuldung mit der Amtsübernahme von Lambert Lütkenhorst als Bürgermeister beginnt. Tatsache ist jedenfalls, dass es in seiner Amtszeit bis heute nicht ein einziges Jahr gibt, in dem der städtische Haushalt ausgeglichen war und die Kassenkredite nicht angestiegen sind. „Mit Schulden hat noch niemand eine Wahl verloren“, sagte er kürzlich und das trifft auch auf ihn persönlich zu. Die Frage nach der politischen Verantwortung wird in der weiteren Diskussion zweifellos noch eine Rolle spielen.
Eine weitere Schlussfolgerung ist, dass der Ausstieg aus der Schuldenwirtschaft die Kommunalpolitik auf lange Zeit handlungsunfähig macht. Der Grund: die Kassenkredite müssen früher oder später zurückgezahlt werden. In dieser Hinsicht hält sich das Stärkungspakt-Gesetz zurück. Es bestimmt lediglich, wenn die Mittel aus der Konsolidierungshilfe des Landes nicht vollständig benötigt werden, dass diese zur Verringerung der Kassenkredite zu verwenden sind. Das zeigt, dass die Landesregierung dem Schuldenabbau einen hohen Stellenwert beimisst, und es kann kein Zweifel bestehen, dass er früher oder später auf der Tagesordnung stehen wird.
Woher soll das Geld für den Schuldenabbau kommen?
Wie der aber gelingen soll, steht in den Sternen. Die Erträge der Stadt belaufen sich derzeit auf jährlich etwa 170 Millionen Euro. Die Kassenkredite, die zu tilgen sein werden, von 230 Millionen Euro entsprechen ungefähr 130 Prozent der künftigen jährlichen Einnahmen. Legt man eine jährliche Rückführung von 5 Millionen Euro zugrunde, braucht es 46 Jahre, um die Kassenkredite auf Null zu bringen, bei 10 Millionen Euro immerhin noch 23 Jahre. Es ist, – jedenfalls heute -, kaum vorstellbar, wie Dorsten nach Erreichen des Haushaltsausgleichs, nachdem voraussichtlich alle in Reichweite liegenden Möglichkeiten der Einsparung und Einnahmeverbesserung ausgeschöpft sind, noch Spielräume haben könnte, Millionen zur Reduzierung der Kassenkredite locker zu machen. Das bleibt auch dann schwierig, wenn man davon ausgeht, dass die Einnahmen der Stadt infolge des allgemeinen Wirtschaftswachstums steigen, denn auch die Ausgaben werden über die Jahre zunehmen, im besten Falle langsamer als die Einnahmen.
Dabei spielt auch eine Rolle, dass eine Verringerung der Kassenkredite wegen der bislang absurd niedrigen Zinssätze nicht zu einer spürbaren Entlastung des Haushalts führt. Eine Tilgung von 5 Millionen Euro bewirkt eine Verringerung der jährlichen Zinslast von nur etwa einhunderttausend Euro. Die niedrigen Zinssätze, die die Verschuldung in der Vergangenheit so leicht gemacht haben, machen nun die Rückzahlung der Kassenkredite umso schwerer. Sollten die Zinssätze für Kassenkredite indes in Zukunft spürbar steigen, dann kann den Gemeinden ohnehin nur ein Rettungsschirm helfen.
Man kann darüber spekulieren, ob es ein Kassenkreditabbau-Gesetz der Landesregierung geben wird mit Finanzhilfen des Landes oder des Bundes, um den Gemeinden den Schuldenabbau zu erleichtern. Aber auch in diesem Fall wird die Bedingung wieder sein, dass die Stadt den größten Teil der Rückzahlung der Kredite schultert. Und das bedeutet nichts anderes, als dass die Handlungsfähigkeit der Kommunalpolitik auf Jahrzehnte hinaus auf ein Minimum reduziert wird.
Stadtpolitik auf Kosten künftiger Generationen war von Grund auf unverantwortlich
Eine letzte Schlussfolgerung betrifft den Standort Dorsten im Wettbewerb der Städte. Wenn die Leistungen der Stadt zunehmend eingeschränkt und auf der anderen Seite Steuern und Abgaben erhöht werden, sinkt die Attraktivität Dorstens und das hat Auswirkungen auf die Entwicklung der Wohnbevölkerung. Möglicherweise wird die Zahl der Einwohner schneller abnehmen als infolge der demographischen Entwicklung jetzt schon absehbar, – mit der Folge, dass eine noch schneller schrumpfende Bevölkerung die Schulden zurückzahlen muss, die ihr eine ganze Generation hinterlassen hat. Damit könnte eine Negativspirale in Gang kommen, die den Standort Dorsten auf Dauer schwächt.
Das alles zeigt, dass es verantwortungslos war, das Rad der Verschuldung immer weiter zu drehen. Es zeigt, wie sehr die Schuldenlast aus der Vergangenheit die kommunalpolitischen Gestaltungsspielräume in Zukunft beschränkt. Wenn man noch etwas retten wollte, dann nur so: es müsste alles daran gesetzt werden, die weitere Erhöhung der Kassenkredite sofort zu stoppen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Dass die politisch Verantwortlichen aber mehr tun wollen, als ihnen das Stärkungspakt-Gesetz abverlangt, dafür gibt es keine Anzeichen – eher das Gegenteil. Dorsten geht einer ungewissen Zukunft entgegen.