24. Juni 2012. Von Helmut Frenzel
DORSTEN-transparent stellte kürzlich einige Fragen an den Stadtkämmerer, darunter auch solche, die den Abwasserbereich betreffen. In seiner Antwort, nachzulesen im Archiv unter dem Titel „10 Fragen an den Kämmerer – hier seine Antwort“, widersprach er dem Vorwurf, dass große Teile der Abwassergebühren im allgemeinen Haushalt landen. Damit beharrt er auf dem Standpunkt, dass die Gebühreneinnahmen zweckgebunden für diesen Bereich verwendet werden, wie es die Budgetierungsgrundsätze der Stadt verlangen. Dies ist nachweislich falsch und kann deswegen nicht unwidersprochen bleiben.
Die Abwassergebühren sind eine Goldgrube für die Stadt und dabei geht es nicht um Kleingeld, sondern um Millionen. Dass das möglich ist, hat einen einfachen Grund: Was das Stromleitungsnetz im Bereich der Stromversorgung, das ist das Abwasserkanalnetz im Bereich der Abwasserbeseitigung. Das frühere Monopol der Stromversorger hat man aufgebrochen, indem die Übertragung der Stromnetze an Netzgesellschaften erzwungen und so für viele Stromanbieter geöffnet wurde. So entstand Wettbewerb auf dem Strommarkt. Ganz anders im Bereich der Abwasserbeseitigung. Das Kanalnetz gehört der Stadt und sie ist der alleinige Betreiber. Die Bürger sind der Stadt durch Zwangsanschluss an das Kanalnetz ausgeliefert. Damit hat sie ein Monopol. Der Versuchung, dieses zu nutzen, um kräftig bei den Bürgern abzukassieren, kann auch eine Gemeinde nicht widerstehen, vor allem dann nicht, wenn sie tief im Schuldensumpf sitzt und jeden Euro braucht. Diese Versuchung wird noch beflügelt durch den Umstand, dass die Bürger nicht mitkriegen, wie schamlos sie von ihrer Gemeinde ausgenommen werden. Man muss annehmen, dass auch die Ratsmitglieder das nicht durchschauen. Die Chiffre zur Auflösung des Rätsels heißt Gebührenrecht.
Fingierte Gebührenkalkulation produziert Gewinne für die Stadt
Den Durchblick zu haben, wie die Abzocke funktioniert, bleibt bislang Personen vorbehalten, die etwas von Gebührenkalkulation einerseits und Ergebnisermittlung nach Handelsrecht andererseits verstehen. Zwischen diesen beiden Polen spielt sich das Geldscheffeln der Kommunen ab. Es ist möglich, weil unterschiedliche Regeln gelten. Das klingt kompliziert, aber das Prinzip ist einfach und gar nicht so schwer zu verstehen: bei der Kalkulation der Gebührensätze nach Gebührenrecht werden Kosten einbezogen, die in Wirklichkeit nicht anfallen, sondern frei erfunden sind. Die Folge: Es entsteht nach handelsrechtlichen Maßstäben ein Gewinn, während die „Gebührenbedarfsrechnung“ ein Ergebnis von Null aufweist. Letzteres schreibt das Kommunalabgabengesetz so vor: die Gebühren müssen kostendeckend sein; Überschüsse sind nicht erlaubt.
Tatsächlich haben die Kämmerer nie explizit bestritten, dass im Abwasserbereich Gewinne erwirtschaftet werden. Darauf angesprochen weichen sie immer wieder auf die Gebührenseite aus und bügeln kritische Nachfragen regelmäßig und geradezu militant mit dem Hinweis ab, die Gebühren seien doch nur kostendeckend. Dabei verschweigen sie geflissentlich, dass ihre „Gebührenbedarfsrechnung“ fingierte, das heißt: überhöhte oder gar nicht anfallende Kosten enthält. Diese betreffen die kalkulatorischen Abschreibungen und die kalkulatorischen Zinsen auf das Eigenkapital.
Schaut man in die Haushalte von Dorsten, so findet man in der Teilergebnisrechnung für den Bereich der Abwasserbeseitigung folgende „Ergebnisse“ nach Handelsrecht vor:
2012 5,8 Millionen Euro
2011 5,8 Millionen Euro
2010 5,1 Millionen Euro
2009 4,1 Millionen Euro
„Ergebnis“ bedeutet hier Gewinn. In 2012 sind das immerhin fast 40 % der Gebühreneinnahmen. Man wird lange suchen, ehe man ein privates, im Wettbewerb stehendes Unternehmen mit einer ähnlich hohen Umsatzrendite findet.
Gewinne werden nicht zweckgebunden für den Abwasserbereich zurückgelegt
Die Gewinne führen in etwa gleicher Höhe zu einem Mittelzufluss. Die Frage ist, was damit geschieht. Die Antwort lautet: das Geld fließt in den allgemeinen Haushalt und dient dazu, das Haushaltsloch zu verringern, welches ohne die Gewinne aus dem Abwasserbereich noch um etliche Millionen höher ausfiele. Das zuzugeben fällt dem Stadtkämmerer aber schwer, denn dann müsste er auch einräumen, dass die Stadt ihre Bürger wie jedes gewöhnliche Unternehmen, das ein Monopol hat, nach Strich und Faden ausbeutet.
Allerdings hat die Stadt Dorsten in ihren Haushaltsgrundsätzen dem Bürger versprochen, dass zweckgebundene Gebühreneinnahmen, dazu gehören auch die Abwassergebühren, „nur für entsprechende Aufwendungen für diesen Zweck verwendet werden“ (Haushaltsentwurf 2012, Seite 10).
Um den Gebührenmissbrauch zu verschleiern, greifen die Kämmerer daher zu Notlügen. So wird beispielsweise behauptet, die Gemeinden müssten ein finanzielles Polster für die Erneuerung des Kanalnetzes ansparen. Das aber ist aus zwei Gründen falsch: erstens zeigt ein Blick in den Haushalt, dass Dorsten kein finanzielles Polster hat, und zweitens ist eine komplette Erneuerung nicht geplant, so steht es in einem Schreiben von Herrn Große-Ruiken vom 3. Februar 2011 an den Verfasser. Begründung: die Erneuerung des Kanalnetzes sei ein kontinuierlicher Prozess; Ersatzinvestitionen würden ständig nach Bedarf vorgenommen. Es gibt also weder ein finanzielles Polster, noch wird ein solches gebraucht. Die Wahrheit ist: das Geld wird nicht zweckgebunden ausgegeben, sondern landet im allgemeinen Haushalt, da hilft alles Leugnen des Stadtkämmerers nichts. Damit verstößt die Stadt gegen die von ihr selbst aufgestellten Budgetierungsgrundsätze.
Und wer noch immer nicht überzeugt werden konnte, dass die Stadt sich bei den Abwassergebühren nach Belieben selbst bedient, der mag im Haushaltssicherungskonzept 2010 unter den Maßnahmen zur Haushaltssicherung (s. Kasten) nachlesen, dass unter dem Titel „Neustrukturierung der Gebührenkalkulation für die Abwasserbeseitigung“ ab 2010 ein Sanierungsbeitrag zum städtischen Haushalt in Höhe von jährlich 1,5 Millionen Euro geplant ist (siehe Balken). Der Weg zur Erhöhung der Gebühren geht so: in der Gebührenbedarfsrechnung werden die kalkulatorischen Zinsen erhöht – um den Betrag von 1,5 Millionen Euro. Dementsprechend steigen die Gebührensätze. Schaut man sich daraufhin noch einmal die Gewinne an, so stellt man fest, dass diese von 2009 auf 2011 um eben diese 1,5 Millionen gestiegen sind. Noch Fragen?
Mittelzufluss aus Abschreibungen spült weitere Millionen in die Kassen der Stadt
Damit ist die Abzocke aber noch nicht zu Ende. Die in der Gebührenkalkulation enthaltenen Abschreibungen bedeuten, – zusätzlich zu den erzielten Gewinnen – , einen weiteren Mittelzufluss. Sie lagen zuletzt bei 3,2 Millionen Euro jährlich. Damit fließt ein Anteil desjenigen Geldes zurück, das früher zur Herstellung des Kanalnetzes ausgegeben wurde. Es könnte für die laufenden Investitionen eingesetzt werden, die heute erforderlich sind, um das Kanalnetz funktionsfähig zu halten. Denn dieses wird ja nicht irgendwann einmal komplett erneuert, sondern in einem kontinuierlichen Prozess instand gehalten, wie der Stadtkämmerer dargelegt hat. Dafür wird aber das Geld keineswegs verwendet. Die Investitionen im Abwasserbereich werden vielmehr durch Darlehen finanziert, obwohl das Geld aus den Gebühreneinnahmen ausreichen würde und auf Darlehen verzichtet werden könnte. Der Mittelzufluss aus den Abschreibungen landet also ebenfalls im allgemeinen Haushalt und für die neu aufgenommenen Darlehen haftet nicht der Dorstener als Abwassergebührenzahler, sondern zur Abwechslung mal der Dorstener als Steuerzahler, dem dafür dann die Grundsteuer erhöht wird.
Als Fazit bleibt: von den Gebühreneinnahmen von 16 Millionen Euro bleiben der Stadt 2012 Mittelzuflüsse von 5,7 Millionen aus Gewinn und 3,2 Millionen aus Abschreibungen, insgesamt also 8 Millionen Euro, die nicht zweckgebunden verwendet werden.
Abwassergebühren sind ein Fall für das Kartellamt
Eine vergleichbare Abzocke herrscht auch in einem verwandten Bereich, der ebenfalls von Monopolen beherrscht wird: der Trinkwasserversorgung. Aber die ist längst in den Blick des Bundeskartellamts gerückt. Das hat kürzlich bei den Berliner Wasserwerken die sofortige Senkung der Wasserpreise um etwa ein Sechstel (16 bis 18 %) angeordnet. Bis 2015 sollen die Wasserwerke auf Erlöse von 254 Millionen Euro verzichten. Das zeigt, um welche Beträge es in diesem Spiel geht. Auch die Abwasserbeseitigung durch kommunale Betriebe ist längst ein Fall für das Kartellamt. Aber kommunale Unternehmen unterliegen bislang nicht der Kartellaufsicht und entziehen sich so der Kontrolle.
„Wir nennen das Phänomen ‚Flucht ins Gebührenrecht‘. Die Kommunen sind der Ansicht, sie könnten dem Kartellrecht entgehen, wenn sie die Wasserpreise öffentlich-rechtlich einkleiden und als Gebühren deklarieren. Höchstrichterlich ist die Frage bisher nicht geklärt. Daher wäre es hilfreich, wenn der Gesetzgeber […] zumindest klarstellte, dass das Kartellrecht auch bei Gebühren gilt.“ So der Bonner Professor Daniel Zimmermann, Mitglied der Monopolkommission der Bundesregierung (FAZ vom 15. Juni 2012). Was für die Trinkwasserpreise gilt, gilt gleichermaßen für die Abwasserbeseitigung.
Nach alledem ist es ein Witz, dass der Rat jährlich einen Gebührenhaushalt durchwinkt, der definitionsgemäß zu Null aufgeht. Das könnte man auch dem Pförtner übertragen. Die dahinter liegende entscheidende Frage ist: welche Beiträge darf die Stadt aus dem Gebührenhaushalt für ihren allgemeinen Haushalt abzweigen? Diese Frage ist es, die der Rat politisch entscheiden muss. Denn mit dem Teil, der in den Haushalt eingeht, wird über eine kommunale Sondersteuer entschieden, die der Bürger zahlen muss.
Wann werden Verwaltung und Rat der Stadt Dorsten den Mut zur Wahrheit aufbringen?
Es wäre schön, wenn dieser Artikel mit einer “Artikel versenden”-Funktion ausgestattet würde. Diese Information ist zu wichtig und zu wertvoll, als dass sie nicht weitläufig bekannt wird und Beachtung fndet. Ich frage mich: “Wie kann man sich effektiv zur Wehr setzen?”
Anmerkung Dorsten-transparent: Danke für den Hinweis “Artikel versenden”. Wir kümmern uns darum!