Kommentar
9. Mai 2012. Von Helmut Frenzel
In diesen Tagen ist es ein Monat her, dass dem Dorstener Stadtkämmerer 10 Fragen zu Verschuldung und Haushalt übermittelt wurden. Das ist die Frist, innerhalb derer Anfragen von Bürgern beantwortet werden sollen. So bestimmt es das „Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen“ (Informationsfreiheitsgesetz), das auch für die Kommunen gilt. Danach hat jeder Bürger Anspruch auf Zugang zu den vorhandenen amtlichen Informationen. Die gewünschte Auskunft soll „unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats“ erteilt werden. Die Verweigerung der Auskunft ist „schriftlich zu erteilen und zu begründen“.
Von alledem nichts. Der ihm zugestellte Brief war dem Stadtkämmerer weder eine Eingangsbestätigung wert, noch die Mitteilung, dass sich die Beantwortung verzögere, noch gar die Lieferung der gewünschten Auskünfte selbst, aber auch keine Ablehnung mit der vom Gesetz geforderten Begründung. Auch die Mitglieder des Rates der Stadt Dorsten schweigen. Sie wurden schriftlich darüber informiert, dass der Brief an den Stadtkämmerer in diesem Online-Magazin veröffentlicht ist, und werden ihn wohl zur Kenntnis genommen haben. Über die Gründe dafür, dass alle auf Tauchstation gegangen sind, kann man nur spekulieren.
Die 10 Fragen haben eine politische Dimension. Ihre Beantwortung ist im öffentlichen Interesse. Es sind Fragen, die eigentlich die Ratsmitglieder an Bürgermeister und Verwaltung stellen müssten. Oder kennen die Ratsmitglieder die Antworten schon? Warum sie dann nicht öffentlich machen? Oder sind die Antworten so beunruhigend, dass man lieber erst abwartet, ob die ganze Aktion nicht vielleicht alsbald im Sande verläuft? Wissen die Ratsmitglieder, dass über die Hälfte der Abwassergebühren in den allgemeinen Haushalt fließt, und billigen sie etwa, dass damit faktisch eine kommunale Sondersteuer erhoben wird, die inzwischen drei Viertel der Einnahmen aus der Grundsteuer B erreicht? Warum sagen sie es dann nicht dem Bürger? Oder wissen die Ratsmitglieder davon gar nichts und werden von der Verwaltung in dieser Frage, so wie die Bürger auch, hintergangen?
Und wissen wenigstens die Ratsmitglieder, wie hoch die tatsächlichen Belastungen des städtischen Haushalts durch das Hallenbad „Atlantis“ sind? Die sind nämlich über mehrere Etats verteilt und beschränken sich keineswegs auf den jährlichen Zuschuss von etwa anderthalb Millionen Euro, den der Rat jedes Jahr absegnet. Sind die Ratsmitglieder nicht daran interessiert zu erfahren, wie die Schrumpfung der Bevölkerung sich auf die Einnahmen der Stadt aus Steuern und Zuweisungen auswirkt? Wollen sie nichts darüber hören, wie eine dezimierte Einwohnerschaft den immer noch wachsenden Schuldenberg künftig abtragen soll? Und wie steht es mit der Ordnungsmäßigkeit der Führung der Geschäfte der Stadt? Wieso hat die Stadt entgegen den geltenden Vorschriften keine testierten Jahresabschlüsse für 2009 und 2010? Wieso muss der Landrat diese anmahnen? Warum gibt es in Dorsten keinen vom Rat verabschiedeten Haushalt vor Beginn eines Haushaltsjahrs, wie die Gemeindeordnung das vorschreibt? Warum verabschiedet der Rat Jahr für Jahr Haushaltsgrundsätze, die in demselben Haushalt offen missachtet werden? Im richtigen Leben würden die Verantwortlichen für Dergleichen wegen Missmanagement gefeuert werden.
Die politischen Verantwortungsträger sind sichtlich bemüht, die Deutungshoheit bezüglich ihrer Stadtpolitik zu verteidigen und sich gegen Kritik zu verbarrikadieren. Eine Opposition, die die drängenden Zukunftsthemen aufgreift und eine öffentliche Debatte darüber erzwingt, ist im Stadtrat faktisch nicht vorhanden. Und die Presseorgane beschränken sich weitgehend auf die Rolle als Sprachrohre von Bürgermeister und Verwaltung, die immerzu deren Standpunkte und Einschätzungen abdrucken, ohne nachzuhaken. Dazu passt auch die Entscheidung des „Stadtspiegel“, dem Bürgermeister wöchentlich Gelegenheit zu geben, die Ereignisse der Woche aus seiner Sicht darzustellen. Da kann dann der Bürgermeister die Kommentare zur Stadtpolitik gleich selber schreiben. Unterdessen befindet sich Dorsten in einer Abwärtsspirale, angetrieben vom finanziellen Notstand und schrumpfender Bevölkerung, die schnelles und entschiedenes Umsteuern erforderte. Auf ein kommunalpolitisches Zukunftskonzept, das dazu verhelfen könnte, den drohenden Niedergang Dorstens abzuwenden, wartet der Bürger aber bislang vergeblich.
Umso wichtiger ist, dass es Stimmen gibt, die es dabei nicht belassen wollen. Und deswegen kann die Nicht-Beantwortung der 10 Fragen so nicht stehen bleiben. Inzwischen ist ein neuer Brief mit denselben Fragen an den Stadtkämmerer auf den Weg gebracht worden, jetzt allerdings in Form eines formellen Antrags und unter Bezugnahme auf das Informationsfreiheitsgesetz.
Da ist ja sogar die größte Zeitung in Dorsten wachgeworden und hat sich einige Wochen nach Erscheinen des sehr fundierten, kenntnisreichen offenen Briefes an den Dorstener Stadtkämmerer (ging bis heute eine Antwort ein?) in “Dorsten transparent” zur Lage des Dorstener Finanzen bequemt, auch mal darüber zu berichten. Für “Dorsten-transparent”-Leser kalter Kaffee. Der offene Brief an den Stadtkämmerer zeugt von großem Sachverstand.
Ich verstehe den Kommentar von Jo Gernoth nicht so ganz. Es kommt doch nicht darauf an, wie sich der Bürgermeister selbst sieht und wie ihn die Presse deutet, sondern wie ihn die Bürger sehen. Da ist die Palette sicherlich breit gefächert. Der Bürgermeister ist Politiker. Sein Handeln darf doch auch von Bürgern zwischen den Wahlen beurteilt werden. Und wenn dargelegt und begründet wird, wo der Bürgermeister nicht genügend oder offen genug informiert, dann sollte von Bürgern nachgefragt werden dürfen, vor allem dann, wenn es Presse und Politiker und Politikerin nicht im ausreichenden Maße tun. Nicht ohne Grund gibt es das Informationsfreiheitsgesetz im Bund und in den meisten Bundesländern, wie in in NRW.
Ich lese immer wieder mit Interesse Ihre Einlassungen in Dorsten transparent und da sie mich als Verfasser der wöchentlichen Stadtspiegel-Kolumne über die Ereignisse im Bürgermeisterbüro angreifen, erlaube ich mir, etwas zu Ihrer Publikation zu sagen. Ich glaube nicht, dass sich Ihnen in Ihrem selbst so getauften Enthüllungs-Journalismus erschließt, warum der Stadtspiegel eine solche Kolumne veröffentlicht. Es geht darum, Alltagsgeschehnisse zu dokumentieren. Es gibt keine Kommentare, allenfalls die Bemerkungen ironischer Art. Der Stadtspiegel hat ein ganz anderes Format auf den Weg gebracht, dass Sie aus wohl gutem Grund in Ihrem Schriftsatz, der Züge einer Verschwörungstheorie trägt, verschweigen. Am 20. April hat sich der Bürgermeister nicht irgendwelchen “Jubelpersern” oder nach dem Mund schreibenden Stadtpieglern gestellt und dort Fragen von knapp 100 Bürgern beantwortet. Was er nicht wusste zu beantworten, hat sein Referent Herr Feldhoff notiert und per E-Mail bzw. Postweg beantwortet. Würden Sie die Presselandschaft Dorsten ohne Tunnelblick auf ihre Veröffentlichungen betrachten und wären Sie bei wichtigen Veranstaltungen präsent, dann wäre Ihnen aufgefallen, dass es die WAZ, die Dorstener Zeitung und der Stadtspiegel waren, die beispielsweise eine schonungslose Aufdeckung der Vorkommnisse um die Abschiebung einer Kongolesin betrieben haben, die den Bürgermeister mit öffentlich postulierten Rücktrittsabsichten sehr bewegt hat. Bleiben Sie fair und überlegen Sie einmal sehr genau, warum sich kein Gehör finden.
Mit Interesse habe ich Ihren Beitrag gelesen, kann allerdings nicht alles nachvollziehen. Die Fraktion WIR für Dorsten ist mit 2 Mitgliedern im Rat der Stadt Dorsten vertreten. Wir haben durch Ihren Brief an den Kämmerer durch unser Interesse an dieser Homepage erfahren. Eine offizielle Benachrichtigung durch die Verfasser der Fragen wurde uns nicht zugestellt. Ich habe in einer unserer letzten Fraktionssitzungen sogar explizit auf Ihr Schreiben hingewiesen. Die Fraktion, inklusive der sachkundigen Bürger, war sich einig, dass es sich um fundierte Fragen handelt, an deren Beantwortung wir durchaus Interesse haben. Sie sollten aber nicht davon ausgehen, dass sich der Bürgermeister besonders bemüht, wenn die Fragen von einer Fraktion kommen. Ich kann Ihnen von zahlreichen Briefen und Schreiben berichten, für die wir (als Fraktion, somit als von den Bürgern der Stadt gewählte Ratsmitglieder) keine Eingangsbestätigung, geschweige denn eine Antwort bekommen haben. Nebenbei möchte ich darauf hinweisen, dass wir viele der von Ihnen vorgebrachten Themen bereits in den Rat eingebracht haben. Leider gibt es in dieser Stadt aber von den “etablierten” Fraktionen kein Interesse die Situation der Stadt zu ändern. Wenn Sie Interesse haben, können Sie sich gerne einmal die Homepage unserer Fraktion anschauen. Sie werden einige meiner Aussagen dort untermauert finden. Als letztes möchte ich noch darauf hinweisen, dass ich Ihre Meinung zur Presse in dieser Stadt absolut teile. Genau diese Presse schweigt diejenigen tot, die bemüht sind die Probleme dieser Stadt aufzugreifen. Das habe ich in zahlreichen Gesprächen versucht zu ändern, leider stößt man zu fast 100% auf taube Ohren und Unverständnis. Um einmal über die von Ihnen angesprochene Probleme in dieser Stadt mit Ihnen sprechen zu können, würde ich mich freuen, wenn Sie als Gast an einer unserer Fraktionssitzungen teilnehmen würden. Ich bitte um eine entsprechende Kontaktaufnahme Ihrerseits.
Michael Wronker, Fraktionsvorsitzender
Anmerkung der Redaktion: Wir haben alle Mitglieder des Stadtrats angeschrieben. Als Adressen diente uns das Namens- und Adressenverzeichnis auf der Homepage der Stadt. Leider kam eine Handvoll Briefe als unzustellbar zurück.