Verlorener Prozess in Altendorf-Ulfkotte: OLG Hamm schreibt der Stadt ein ungerechtes Rechtsverhalten ins Stammbuch

Die Röper-Bauten im Jahre 1982 in Altendorf-Ulfkotte; Foto: Holger Steffe

Von Wolf Stegemann

Es ist 30 Jahre her, als der damalige städtische Pressesprecher Wolfgang Eberhardt Kipp im August 1982 dem Autor dieses Artikel sowie der ganzen Redaktion der Ruhr-Nachrichten in einer offiziellen Stellungnahme vorwarf, in einem Bericht über einen Rechtsstreit zwischen einem privaten Bauherrn und der Stadt Dorsten „die objektive Wahrnehmung der Leser durch Weglassen von Zusammen­hängen und Aufblasen von Details“ getäuscht zu haben. Er schrieb wei­ter, dass das, was die RN „konfuses Spiel der Stadt“ nannten, nichts an­deres sei als „korrektes Rechtsver­halten“.

Das Oberlandesgericht Hamm korrigierte ein Jahr später diese Einschätzung des Pressesprechers und der Stadt mit einem Satz in seinem rechtskräftigen Urteil, dass das, was die Stadt mit „korrektem Rechtsverhalten“ ausgegeben hatte, „mit dem Gerechtigkeitsgefühl aller billig und gerecht denkender Menschen nicht zu vereinbaren“ sei. Die Stadt Dorsten hatte einen von Anfang an aussichtslosen Prozess kostenpflichtig in Bausch und Bogen verloren (Az. 22 U 268/82 OLG Hamm).

Die Röper-Bauten "Im Päsken" im Jahr 2012; Foto: Wolf Stegemann

Nahversorgung der Bewohner sollte sichergestellt werden

Um was ginge es? Die Stadt Dorsten verpflichtete sich bei der Eingemeindung der vor­mals selbstständigen Gemeinde Altendorf-Ulfkotte im Jahre 1975, die Grundversorgung der Altendorfer zu gewährleisten. Man plante eine er­hebliche Einwohneranhebung durch Neubebauung. Doch von diesen Plä­nen rückte man schon bald wieder ab. Um Altendorf dennoch für Ge­werbetreibende attraktiv zu machen, schlug man einfach den weit entlege­nen Ortsteil Tönsholt dazu. Unter diesen Umständen übertrug die Stadt Dorsten die Verpflichtung der Nahversorgung auf den priva­ten Bauherrn Jürgen Röper, der sich der Stadt ge­genüber vertraglich verpflichtete, ein kleines Geschäftszentrum in Altendorf-Ulf­kotte einzurichten. Dafür erhielt er preisgünstig städtischen Grund.

Stadt legte die Baustelle durch Gerichtsvollvollzieher still

Nach kurzer Zeit bemerkte der Jungunternehmer, dass er aufgrund der nach wie vor geringen  Einwohnerzahl bei Geschäftsleuten kein Interesse für das Projekt fand. Röper erhielt nach eigenen Angaben rund 600 Absagen. Um nicht in die Insolvenz zu schlittern, stellte er daraufhin beim Bauord­nungsamt der Stadt Dorsten einen Antrag, die ausge­wiesenen und im Rohbau bereits fer­tig gestellten Geschäftsräume in Wohnungen umwandeln zu dürfen, was die Stadt Dorsten auch geneh­migte. Gleichzeitig aber verklagte die Stadt als Vertragspartner den Bauherrn auf Einhaltung des Vertrages unter dem Motto: Vertrag ist Vertrag. Sie bestand auf den Weiterbau von Gewerberäumen. Während Jürgen Röper sich ge­mäß der Genehmigung der Stadt Dorsten daran machte, die Geschäfts­räume baulich in Wohnungen umzuwandeln, schickte die Stadt Dorsten den Ge­richtsvollzieher mit einer einstweili­gen gerichtlichen Anordnung auf die Baustelle, denn Röper hielt ja seinen Vertrag, Geschäftsräume einzurichten, nicht ein. Die Folge war Baustopp. Nichts ging mehr.

Bauamt genehmigte – Rechtsamt klagte dagegen

Das Landgericht Essen bestätigte kurze Zeit darauf die auf Betreiben der Stadt verfügte gerichtliche Anordnung unter Az.: 3 O 189/82 LG Essen. Doch das Oberlandesgericht Hamm kassierte dieses Urteil sofort wegen eines Formfehlers. Röper durfte also doch gemäß der städtischen Genehmigung die Räume weiter zu Wohnungen umbauen. Dieses konfuse Spiel der städtischen Janusköpfigkeit musste schließlich für die Stadt schief gehen. Doch die Stadt beharrte auf ihrem Standpunkt und verklagte Röper, weil er mit städtischer Genehmigung die Gewerberäume zu Wohnungen umbaute, wo er sich doch verpflichtet hatte, Gewerberäume zu schaffen. Das städtische Rechtsamt glaubte auch noch, mit dieser Fehlkonstruktion im Recht zu sein.

In der Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Hamm, bei der die Stadt als Klägerin auftrat, blitzte sie gewaltig ab. Der Stadt Dorsten wurde nicht nur Verstoß gegen Treu und Glauben richterlich bescheinigt, ihr wurde auch vom Senat vorgeworfen, nichts getan zu haben, um die Behauptungen des Bauherrn, keine Gewerbe-Interessenten gefunden zu haben, zu widerlegen. Denn die Stadt unterstellte dem Beklagten Unlauterkeit: Röper hätte gar nicht so viele Interessenten angeschrieben, wie er vorgab. Doch das Gericht mochte sich dieser unlauteren und nicht bewiesenen Behauptung nicht anschließen. Originalton: „Dies (selbst handeln) hätte sie (die Stadt) schon deshalb tun können und müssen, weil ihr nach ihrem Vorbringen daran liegt, dass eine bürgernahe Versorgung der Bevölkerung gewährleistet wird.“

Rundum stellte der Senat weiter fest, „dass es zurzeit keine Interessenten für etwaige Gewerberäume in dem Bauwerk des Beklagten gibt und … dass die gegenwärtige Bevölkerungszahl von Altendorf-Ulfkotte zurzeit so gering ist, dass Versor­gungsbetriebe noch keine ausrei­chende Existenzgrundlage sehen“.

Gericht gab dem Rechtsamt der Stadt „Nachhilfeunterricht“

Da die 600 Quadratmeter Gewerbe­flächen „Im Päsken“ nicht vermiet­bar seien, so die Richter weiter, könne die Stadt von dem Bauherrn die ver­tragliche Erfüllung nicht verlangen. Da die Stadt selbst „kein eigenes In­teresse an der Schaffung der Gewer­beräume“ habe, sei ihr Prozessinte­resse mehr immaterieller Art. Die Stadt, so argumentierten die Richter, verlange Erfüllung des Vertrags, ganz gleich, ob der Vertrag zu erfül­len sei. Das Gericht setzte das Gerechtigkeitsdenken der städtischen Rechtsvertreter zurecht: Es gehe nicht an, dass die Stadt verhindern wolle, dass der Bauherr bei Unvermietbarkeit der Räume diese anders nütze. „Das ist im vorliegenden Falle in hohem Maße ungerecht.“ Zudem, so die Richter im Urteil weiter, sei „dieses Begehren mit dem Gerechtigkeitsgefühl aller billig und gerecht denkenden Men­schen nicht zu vereinbaren“.

Auch wenn man, so das Gericht, den Streitfall unter öffentlich-rechtli­chen Gesichtspunkten sehe (wie es die Stadt tat), hätte sie „in der ver­langten Form kein Recht, die Schaf­fung von Gewerberäumen zu for­dern“. Mit diesen Worten gab das OLG Hamm den städtischen Juristen „Nachhilfeunterricht“. Es war nicht der letzte. Die Stadt Dorsten sei verpflichtet, alle Bürger gleich zu behandeln. Das Gericht bezweifelt auch, ob überhaupt öffentlich-recht­liche Belange dieser Art von der Stadt in einem privat-rechtlichen Vertrag geltend gemacht werden können.

Würde man also den Bauherrn Röper gezwungen haben, den Vertrag einzuhal­ten, und Röper säße in leeren, weil unvermietbaren Geschäftslokalen, hätte die Stadt Dorsten aufgrund der festgestellten Rechtslage und der Grundsätze des enteignungsgleichen Eingriffs durch den Gerichtsvollzieher Tag für Tag aus Steuermit­teln den Bauherrn entschädigen müssen.

Finanziell kam Stadt mit „blauem Auge“ davon

So entstanden der Stadt „lediglich“ die Prozesskosten, zu denen sie verurteilt wurde – und eine große Peinlichkeit. Der Griff ins Stadtsäckel, das damals eh nicht mehr dick an Steuergro­schen war, war somit noch das kleinere Übel dieses üblen konfusen Spiels der Stadt. Nicht zuletzt musste sie sich frei­lich weiterhin Gedanken darüber machen, wie sie die Nahversorgung der Bevölkerung von Altendorf-Ulf­kotte in den Griff bekommen wollte.

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Die nächste Folge: Fehlentscheidung der Ratspolitiker kostete dem Dorstener Steuerzahler über eine Million – Chronologie eines rechtswidrigen Beschlusses
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