Von Wolf Stegemann
Als das Dorf Erle noch zum Amt Hervest-Dorsten gehörte, wären die Erler und mit ihnen sicherlich auch die Nachbargemeinden sehr reich geworden, wenn das geklappt hätte, was sie sich 1950 versprachen. Damals war für Wochen Erle in aller Munde. Denn es wurde ein „reichhaltiges Ölvorkommen von beträchtlichem Ausmaß“ entdeckt; ganz Erle schwamm auf einem riesigen 1.300 Meter unter der Erde befindlichen Ölsee, wie es die „Ruhr-Nachrichten“ erfahren haben wollten.
Nachdem der Nordwestdeutsche Rundfunk (NRWD) über den Fund à la James Dean in „Giganten“ gesendet und überregionale Zeitungen darüber berichtet hatten, stand bei Bürgermeister Lammersmann das Telefon nicht mehr still. Immer wieder musste er allen möglichen Stellen und Instanzen Auskunft über den Stand der Bohrungen geben. Die Bohrungen hatte die Wintershall AG Hamburg vorgenommen. 6.000 Arbeiter sollten in Erle Arbeit und Brot finden. Die Zeitung schrieb:
„Es bedarf keiner Frage, dass die Ausbeutung dieser Erdölquellen eine umwälzende Veränderung im Gesamtbild unserer Heimat mit sich bringen und vor allem auch die Wirtschaftsstruktur erheblich beeinflusst werde.“
Alle hörten schon die Kasse klingeln
In den Köpfen klingelten schon die Petro-Dollars und es wurden öffentlich Überlegungen angestellt, „welcher Betrag für die Landwirte angemessen sei“, auf deren Grundstücke die Sonden angelegt werden. Die Zeitung schwärmte:
„Wenn nicht alles trügt, werden wir in den nächsten Jahren im Nordwesten der Herrlichkeit einen wirtschaftlichen Auftrieb erleben, der kaum demjenigen nachstehen dürfte, den wir […] in Hervest und Holsterhausen mit dem Aufkommen des Bergbaues feststellen durften.“
Es entstand auch eine Auseinandersetzung, wo die zukünftige Hauptverwaltung des Erdölunternehmens Erle seinen Sitz haben sollte. Die Raesfelder beanspruchten ihn genauso wie die Erler. Für das Amt Hervest-Dorsten kam nur Erle in Frage, weil dann die Steuereinnahmen auch für das Amt sprudeln würden. Beim Streit um den Firmensitz wurden die Kilometer-Entfernungen zu den Bahnhöfen ausgemessen: bis Rhade waren es sechs Kilometer, bis Deuten zehn, nach Schermbeck 10,1 nach Hervest 11,1, nach Borken 11,8 und bis Marbeck-Heiden 15,6 Kilometer. Dorsten („Man bemüht sich, nichts zu versäumen, wartet aber ab!“) bewarb sich mit einem neuen Kanalhafen, der in Holsterhausen entstehen sollte, sowie mit zwei noch aus dem Krieg stammenden Benzintanks im Dorstener Kanalhafen. Die Verkehrsbetriebe Vestische Straßenbahnen begannen, das Gebiet in hektischer Eile mit einer viermal täglich verkehrenden Autobuslinie verkehrsmäßig anzuschließen.
Bohrungen hatten mit Erdöl nichts zu tun
Schon bald dämpften Fachleute in Leserbriefen und Stellungnahmen die öffentliche Euphorie. Als sich der Qualm, angefacht durch übertriebene Zeitungsmeldungen und öffentliche Spekulationen, verzogen hatte, wurde die Realität sichtbar. Es trog fast alles. Denn es fuhr lediglich ein Lastwagen in Erle umher, der ein kleines Bohrgerüst mit sich führte. Damit wurden Löcher bis zu 25 m Tiefe gebohrt und mit Sprengstoffladungen gefüllt. Beim Zünden haben die Fachleute auf dem mitgeführten Seismographen festgestellt, wo das Steinkohlengebirge beginnt. Es handelte sich dabei um geophysikalische Untersuchungen der Oberflächengestaltung des Carbon. Die Untersuchungen, die auf Veranlassung der Vacuum Erdöl-Gesellschaft von der Wintershall AG durchgeführt wurden, hatten also mit Erdöl nichts zu tun, außer dass das Wort im Firmennamen des Auftraggebers vorkam.
In wenigen Wochen war der Öl- und Dollarrausch in und um Erle vorbei. Die einen mochten aufgeatmet haben, andere enttäuscht gewesen sein und wahrscheinlich wünschten sich alle, dass dieses blamable Ende bald in Vergessenheit gerät.
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Quelle: Wolf Stegemann „Erler Bauern als Ölscheichs“ in RN vom 11. September 1985.