Von Wolf Stegemann
Das Fazit vorweggenommen: In die etablierte schöngeistige Literatur hat Dorsten nur marginal und meist nur in der Erwähnung des Namens Eingang gefunden. Kaum erwähnenswert, vielleicht kurios, doch in der Summe kann dies auch zum Schmunzeln anregen, wenn beispielsweise Casper von Hohenstein die Varusschlacht in Dorsten stattfinden lässt oder Heinrich Heine in einem Gedicht vom Knüppeldamm in Dorsten spricht. Bei den hier beheimateten Schriftstellern und Schriftstellerinnen kommt Dorsten schon umfangreicher weg. Auf die soll hier aber wenig oder gar nicht eingegangen werden.
Johann Wolfgang von Goethe war am 6. Dezember 1792 stundenweise in Dorsten. Die Stadt scheint ihn nicht beeindruckt zu haben. Denn der Name Dorsten kommt lediglich in dem von seinem Reisediener geführten Rechnungsbüchlein vor, in dem seine Ausgaben stehen, die er in Dorsten getätigt hatte: Dorsten: Postgeld, Schmiergeld, Brückengeld und ein Glas „Wein Rothen“.
Hamelmann nennt 1595 in der von ihm herausgegebenen „Beschreibung westfälischer Städte“ Dorsten als „Oppidum elegans“ – elegante Stadt. Matthaeus Merian (1593 bis 1658) bezeichnet 1643 in seinem Werk „Theatrum Europaeum“ Dorsten, mittlerweile Festungsstadt, als Stadt mit „Grandezza“, als eine Stadt mit würdevollem Aussehen und Benehmen.
Johann Jakob Grimmel von Grimmelshausen (1621/22 bis 1676) beschreibt in „Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ (1669) Geschehnisse während des Dreißigjährigen Kriegs vor den Toren der Festung Dorsten.
7. Kapitel. – „Simplex, der Jäger, macht abermal Beuten … Pferd bald aus dem Staub gemacht, als die Aktion angieng, durch welche ich zu Dorsten hätte verraten und unterwegs wieder aufgehoben werden können. Da wir nun aufgepackt hatten, …“
3. Kapitel. – „Der große Gott Jupiter… wo einer für mich ausgab. Ich saß einsmals mit fünfundzwanzig Feurröhren nicht weit von Dorsten, und paßte einem Convoi mit etlichen Fuhrleuten auf, der nach Dorsten kommen sollte; Ich hielt meiner Gewohnheit nach selbst Schildwacht…“ Zweites Buch, 30. Kapitel: „Der General Graf von Götz hatte in Westfalen drei feindliche Garnisonen übriggelassen, nämlich zu Dorsten, Lippstadt und Coesfeld, denen war ich gewaltig molest …“
Johann Casper von Lohenstein (1635 bis 1683) beschrieb mit den Kenntnissen und seiner Sicht des 17. Jahrhunderts den Kampf des Cheruskers Arminius gegen Varus und berichtet in seinem Werk „Großmüthiger Feldherr Arminius/Roman/Zweyter Theil/ Erstes Buch über die Lippebrücke beim verlassenen Dorff Dorsten“, erschienen 1690 in Leipzig. Der Niederschlesier Lohenstein war Jurist, Diplomat und Dichter des Schlesischen Barock sowie einer der Hauptvertreter der Zweiten Schlesischen Denkschule:
„Germanicus / welcher von des Feldherrn Ankunfft ebenfals Wind kriegt /hatte sich dieses Streiches wol versehen /und daher seinen Weg auf Einrathen der in selbiger Gegend wolbekandten Tencterer /gerade gegen der Lippe / auf ein von den Marsen verlassenes Dorff Dorsten eingerichtet /welches an einem zu geschwinder Befestigung bequemen Orte gelegen /und vorher schon von Marsen mit Schlag-Bäumen /und einer Brücke über die Lippe versehen war; also daß der Feldherr /welcher aus Irrthum zu weit auf die rechte Hand abkommen war / mit seiner Reiterey mehr nicht ausrichten konte / als daß er etliche hundert Gallier /welche gegen den im Rücken habenden Feinde den Nachdrab führen musten /theils in Stücken hauete / theils gefangen nahm. Germanicus ließ sein gantzes Heer /ohne Verschonung der alten und sonst hiervon freyen Kriegs-Leute /den gantzen übrigen Tag und folgende Nacht an Verschantzung selbigen Dorffes / und an noch zwey Brücken über den Fluß / arbeiten; Und als der Feldherr ihr Heer gegen ihm in Schlacht-Ordnung stellte / und ihn zum Gefechte ausforderten / ihnen zu entbieten […] „Dahero verlangte er: daß der Feldherr diesen gewaltsamen Uberfall an den Römern rächen / und ihm die Erstattung des unverwindlichen Schadens zuwege bringen solte. Hertzog Herrmann und Ingviomer billigten zwar die Gerechtigkeit seines Gesuches / und versprachen ihm so viel Hülffe /als die Mögligkeit zulassen würde; zu welchem Ende sie ober- und unterhalb des Dorffes Dorsten eine Brücke zu bauen anfiengen. Germanicus sahe wol / wenn sein Feind mit einem Theile übersätzte /und den Cäsischen Wald aufs Neue verhiebe und besätzte /mit der grösten Macht aber auf der Nordseite der Lippe stehen bliebe /daß er entweder in seinem Lager wege gesperrter Zufuhre erhungern / oder an ein oder anderm Orte einen gefährlichen Streich würde wagen müssen…“
Voltaire. Ob der französische Schriftsteller und Philosoph Francois Marie Arouet Voltaire (1694 bis 1778) in seinem anonymen Erstdruck „Candide“, in dem sich der Protagonist, ein Anti-Held aus Westfalen, durch die Buchseiten verlustiert, mit seiner Anmerkung in einem Brief an Friedrich II. von Preußen vom 6. Dezember 1740 Dorsten meinte, bleibt dem Leser überlassen. Zumindest die Herrlichkeit und das Vest musste er auf seinen Reisen bemerkt haben. Voltaire, der Katholiken nicht mochte, schrieb: „Jenseits von Wesel, ich weiß nicht wo … O abscheuliches Westfalen!“ Voltaires Reisekutsche von Paris nach Berlin oder nach Petersburg musste auf dem Postweg in Dorsten die Lippebrücke passieren, wie aus Beschreibungen hervorgeht.
Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg (1750 bis 1819) widmete sich in einem seiner Gedichte der Schönheit von Schloss Lembeck, auf dem er 1804 Gast der Familie von Merveldt war: Er berichtet in einem Brief darüber: „… einem alten, sehr großen, siebtürmigen, inwendig sehr wohl eingerichteten Schloss!“
Heinrich Heine (1797 bis 1856) erinnerte sich seiner Dorstener Durchreise von 1815, als er in einem Gedicht an seinen Freund Friedrich von Bergheim in Hamm 1820 ein Gedicht schrieb. Sein Freund Fritz, Jurist, wie Heine, wurde von Düsseldorf an das Oberlandesgericht nach Hamm versetzt. Da bedauerte Heine seinen Freund mit den Zeilen:
„Mein Freund ist nun im Land der Schinken, / im Zauberland, wo Schweinebohnen blühen, / im dunklen Ofen Pumpernickel glühen,/ wo Dichtergeist erlahmt und Verse hinken […] / und sich zu schwingen hoch, wo Adler horsten, / mein Fritz wird nun, will er sein Herz erbauen, / auf einem dürren Prosagaul durchreiten -, / den Knüppelweg von Münster bis nach Dorsten.“
Jacob und Wilhelm Grimm veröffentlichten in ihren „Kinder- und Hausmärchen“ (1812 bis 1815), im Anhang des ersten Bandes zur Geschichte des tapferen Schneiderleins:
„Zu dem tapferen Schneider No. 20. Die erste Erzählung […] sulcken Cavalier toekomt. Sy trecken op’s Koninghs Bevel henen. By hem komende, en dorsten hem, ofte niemand en will de e, om hemaen te spreken…“ (könnte etwa heißen: Sie ziehen auf Königs Befehl dahin. Beim heimkommen, in Dorsten, hat niemand den Willen …?).
Maria Lenzen di Sebregondi (1814 bis 1882) widmete ihrer Heimatstadt in Romanen, Novellen Gedichten und Sonetten einen breiten Raum, wie in „Das Teufelsschmiedchen“, „An der Balkenfurth“, „Cornelis Janssen Haus“ und „Landrichter Lange“.
Levin Schücking (1814 bis 1883) verhalf mit seinem 1856 erschienene Büchlein „Von Minden nach Köln“ in der Reihe „Brockhaus‘ Reise-Bibliothek für Eisenbahnen und Dampfschiffe“ der Poststation „Am Buerbaum“ in der Bauerschaft Emmelkamp (heute zu Holsterhausen) zu literarischen Ehren. – Der Baron von Münster zu Landegge wird in diesem preußischen Posthaus 1783 auf Befehl des münsterschen Gouverneurs und regierenden Grafen von Schaumburg-Lippe durch Offiziere überfallen und verprügelt, weil er sich über die Machenschaften des Grafen Schaumburg-Lippe, den eine verwandtschaftliche Feindschaft verband, beim erzbischöflichen Landesherrn zu Köln, auf der Reise dorthin er sich befand, beschweren wollte. Verletzt fand der Baron Pflege bei seinem Freund, dem Grafen von Merveldt auf Schloss Lembeck. Der anschließende Gerichtsprozess zog sich über Jahre hin, so dass der Widersacher Graf von Schaumburg-Lippe sowie der Kölner Erzbischof schon längst gestorben waren, als unter Druck des preußischen Königs, in dessen preußischem Posthaus der Überfall sich ereignete, der nachfolgende Erzbischof den Prozess forcierte und der Baron 1788 über 10.000 Reichstaler Entschädigung zugesprochen bekam, die er großzügig den brotlos gewordenen Offizieren oder deren Kindern zukommen ließ, die ihn überfallen hatten. Mit der Geschichte verpasste Schücking zugleich dem westfälischen Adel einen Seitenhieb.
Friedrich Engels (1820 bis 1895), mit Karl Marx Verfasser des „Kommunistischen Manifests“, befasste sich 1882 im Anhang „Der Fränkische Dialekt“ seiner philosophischen Schrift „Fränkische Zeit“ (in Marx/Engels-Werke, Dietz, Bd. 19,4), in der er die Umwälzungen von Grundbesitzverhältnissen in der Zeit der Merowinger und Karolinger beschreibt, mit den westfälischen Sprachgebieten und lässt dabei Dorsten nicht aus.
„Für das mittelfränkische und ripuarische Gebiet beweisen also die -weiler ebensowenig wie die vielen -villers in Frankreich alamannische Ansiedlung. Gehen wir über zu -hofen. Diese Endung ist erst recht nicht ausschließlich alamannisch. Sie kommt auf dem ganzen fränkischen Gebiet vor, mit Einschluß des später von Sachsen besetzten jetzigen Westfalens. Auf dem rechten Rheinufer nur ein paar Beispiele: Wehofen bei Ruhrort, Mellinghofen und Eppinghofen bei Duisburg, Benninghofen bei Mettmann, ein andres Eppinghofen bei Dinslaken, in Westfalen Kellinghofen bei Dorsten, Westhofen bei Castrop, Wellinghofen, Wichlinghofen, Niederhofen, zwei Benninghofen, Berghofen, Westhofen, Wandhofen, alle am Hellweg, usw. Bis in die Heidenzeit reicht Ereshofen an der Agger, Martis villa, und schon die Bezeichnung des Kriegsgottes als Eru zeigt, daß hier keine Alamannen denkbar sind, sie hießen sich Tiuwâri, nannten also den Gott nicht Eru, sondern Tiu, verschoben später Ziu.“
Karl May (1842 bis 1912) erwähnt in seinem 1911 erschienenen Band „Am Stillen Ozean“ in der Erzählung „Der Brodnik“ im Kapitel „Gefährliche Bekanntschaften“ Dorsten:
„Herr Assessor!“ / „Welch ein Zufall, Sie hier zu sehen!“ / „Und auch Sie! Was thun Sie hier?“ / „So ist es Ihnen unbekannt, daß ich von Berlin nach hier versetzt wurde?“ / „Vollständig! Ich mußte mir Urlaub erbitten, um eine Tante in Dorsten zu besuchen. Ich befinde mich auf der Rückreise und gehe mit dem nächsten Zuge nach Düsseldorf. Doch, gestatten die Herren, Sie miteinander bekannt zu machen.“
Johanna Baltz schrieb 1902 das auf Dorsten bezogene Festspiel „Die Stadt am Thor-Stein“, das sie in Dorsten zu Gehör brachte, und mit dem sie in der Lippestadt viele Freunde und Bewunderer gefunden hatte, obwohl Dorsten etymologisch mit dem Thor-Stein nichts zu tun hat.
Augustin Wibbelt (1862 bis 1947), Dichter der westfälischen Mundart, lernte in seiner Studienzeit den Wulfener Kaplan Anton Möllers (1862 bis 1936) kennen, den er in den Jahren 1888 bis 1893 mehrmals besuchte. In seinen Lebenserinnerungen setzte Augustin Wibbelt der Herrlichkeit Lembeck und dem Wulfener Pfarrer Verspoel ein literarisches Denkmal. Auszug aus „Der versunkene Garten“, Essen 1946, Münster 1969:
„O, die goldenen Tage in Wulfen! Sie leuchten mir noch immer in der Seele nach wie ein verglimmendes Morgenrot. Wenn es nach Wulfen ging, so war das immer ein Festtag, für uns und für das alte Pfarrhaus, das eine Viertelstunde vom Dorf wie ein Bauernhof hinter einem Eichenwäldchen versteckt lag. Der Pfarrer selbst, liebte den Frohsinn und blühte in der studentischen Luft, die ihn in seinen alten Tagen umwehte, auf wie eine Maienrose…“
Wibbelt beschreibt, wie er, sein Freund und der alte Pfarrer in der Abgeschiedenheit des Pfarrhauses laut sangen. Wibbelt lässt den Pfarrer sprechen:
„Jungs, schlagt nur ordentlich drauf. Wir wohnen hinten im Kirchspiel, kein Mensch hört uns […]. Da brausten die Studentenlieder durch die Eichenwipfel. Der pfarrherrliche Wein übertraf seine Qualität durch eine ergiebige Quantität und hatte die Tugend, dass er nicht berauschend wirkte […]“
Annette von Droste-Hülshoff beschreibt den Emmelkamp und Reisewege durch die Herrlichkeit, Ferdinand von Raesfeld (1855 bis 1928) seine Kindheitserlebnisse in dem autobiografischen Roman „Aus jungen Jahren“. Carl Ridder (1905 bis 1996) schwärmte in „Impressionen“ von den vergangenen Schönheiten seiner Vaterstadt und beschreibt sie auch in „Die Weise von Hannes und seiner alten Stadt“. Die Dorstener Schriftstellerin Gerda Heselmann verheiratete Illerhues veröffentlichte u. a. 1953 den Kriegsheimkehrerroman „Die verlorenen Fünf“, der in Dorsten handelt. Der Deutsch-Israeli André Kaminski schildert in seinem 1987 erschienenen Tagebuchaufzeichnungen „Schalom Allerseits“ Begegnungen in Dorsten und Tisa Gräfin von der Schulenburg (1903 bis 2001) erzählte in „Zeichnungen-Aufzeichnungen“ und „Ich hab’s gewagt“ ihren Zuzug nach Dorsten und ihr Leben als Ursuline. Kurz vor seinem Tod 2006 hat der aus Dorsten stammende Filmemacher und Grimme-Preisträger („Die Sieben-Tage-Woche des Drahtwebers Rolf Piechotta“) Eckhard Garczyk seinen Roman „Einem unbekannten Gott“ fertig gestellt, der postum 2009 veröffentlicht wurde. Herausgegeben hat den Roman mit stark autobiographisch gefärbten Jugenderlebnissen des Filmemachers der Verein für Orts- und Heimatgeschichte in einer Auflage von 200 Exemplaren.
Es gibt einen Limmerick von „Schobert & Black”, in dem es heißt:
“Es war eine Dame in Dorsten,
die hatte am Leib lauter Borsten.
Nach der Schonzeit im Mai
gab ihr Gatte sie frei
zur Jagd in den städtischen Forsten.”
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Anmerkung: In dieser Auflistung nicht aufgeführt sind die vielen persönlichen Kindheits- und Lebenserinnerungen von Dorstener Bürger und Bürgerinnen, die in den letzten Jahren in großer Zahl erschienen sind; kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Die Seite Dorsten transparent ersetzt mir quasi die Lokalzeitung. Und nicht nur das; oftmals übertrifft sie mit ihren Informationen und Hintergrundbetrachtungen die üblichen Tagesnachrichten. Wo erfährt der Leser in solch fundierter, unterhaltsamer Form, welche interessanten Menschen mit Dorsten in irgendeiner Form in Verbindung standen? Da muss man lange suchen, um solch gründlich recherchierte Artikel zu finden. Ihre Seite ist ein wahres Kleinod, für das ich mich recht herzlich bedanken möchte.